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„Skifahren ist meine Passion“

Fotos: Noemi Ristau

Wer mit über 100 Kilometern pro Stunde auf Skiern einen Berg herunterrast, muss schon eine ordentliche Portion Mut mitbringen. Noch im ein Vielfaches mehr, wenn man dabei nahezu blind unterwegs ist – so wie Noemi Ristau. Im Interview spricht sie über ihren Weg von der sehenden Hobbyskifahrerin zur blinden Profiskifahrerin.

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Noemi Ristau

Erste blinde Skifahrerin im deutschen paralympischen Team

Wie sind Sie zum Skifahren gekommen?

Ich stand schon mit drei Jahren auf Skiern. Jedes Jahr bin ich ein-, zweimal mit meinen Eltern und drei Geschwistern in den Skiurlaub gefahren. Schon damals ging es meist eher schnell den Berg hinab (lacht). Damals konnte ich noch normal sehen. 

Und dann kam der Schicksalsschlag.

Ja, im Alter von 13 schlug das Schicksal zu, der Beginn meiner schleichenden Erblindung. Ich habe das anfangs gar nicht bemerkt, doch meine Lehrerin wies mich auf die Veränderung hin. Plötzlich konnte ich nicht mehr so flüssig lesen, machte viele Fehler beim Abschreiben von der Tafel. Das verschlechterte sich zunehmend. Meine Eltern konsultierten zahlreichte Ärzte, Therapien wurden versucht. Doch nichts half – die Erblindung war nicht aufzuhalten. Im Alter von 15 Jahren blieb dann nur noch der Weg in die Umschulung in der Blindentechnischen Grundausbildung in Marburg. Mein Ziel war es, schnell zurück in die Schule und Abitur machen. Schon bald war der Weg frei für die die neue Schule. Die Carl- Strehl-Schule Marburg/ Blindenstudienanstalt/BLISTA.

Sie mussten aufgrund Ihrer Erblindung einen „Not-Ski-Stopp“ einlegen. Wann haben Sie sich entschieden wieder auf die Bretter zu steigen? Wie kam es dazu?

Wie das Schicksal es so wollte, ging es mit der BLISTA gleich auf Skifreizeit. Im Vergleich zu meinen Mitschülern konnte ich schon Skifahren und hatte nur wenige Schwierigkeiten den Berg nun blind hinunter zu rasen. Auch die erste Woche auf Langlaufski konnte mir den Spaß nicht nehmen. Nach diesen tollen Erfolgen musste es einfach weitergehen.

Und wie ging es weiter?

Meine Lehrer, Betreuer und Familie haben mich ermutigt weiterzumachen. Das tat ich und habe an Integrationsfahrten vom Skiclub Blau Gelb Marburg teilgenommen. Skifahren in verschiedenen Geschwindigkeiten und Geländen mit tollen Skilehrern und Guides – das hat mir so gutgetan.

Ist es eine Überwindung mit mehr als 100 Kilometern pro Stunden ohne etwas zu sehen einen Berg herunterzufahren?

Dadurch, dass man nicht allein fährt, sondern einen Guide hat, der vor einem fährt und mit dem man über Headsets verbunden ist, ist die Überwindung nicht ganz so groß. Man muss seinem Guide voll und ganz vertrauen, sonst funktioniert es nicht. Wenn man sich darauf einlässt, kann man das Gefühl, als fliege man durch den Schnee, in vollen Zügen genießen. Und das tat ich auch (lacht).

Nach dem Fachabitur auf der BLISTA legten Sie dennoch erneut eine Skipause ein. Warum?

Ich wollte raus aus Marburg und die Welt bereisen. Mein Ziel war Indien, wo ich in einem Blindeninternat in der Millionenstadt Puna untergekommen bin, wo ich ein Freiwilliges Soziales Jahr gemacht und als „Lehrerin“ gearbeitet habe. Das war eine unglaublich tolle Zeit. Doch nach einem Jahr zog es mich zurück nach Marburg. Doch ich wollte mehr. Einmal im Jahr Skifreizeit waren mit zu wenig. Skifahren ist meine Passion. Das war mir nun klar.

Wie gingen Sie mit dieser Erkenntnis um?

Ich habe mich an den Deutschen Behinderten Sportverband gewandt und die damalige Nachtwuchstrainerin angeschrieben. Danach war ich zwei Jahre im Nachwuchsteam, bevor es in der Nationalmannschaft weiterging. Der Leistungssport forderte alles von mir ab.

Aber der Einsatz hat sich gelohnt.

Ja, schon in der ersten Saison ließen sich die Ergebnisse sehen: Europacup Siege, Slalom Welt- Ranglistensiegerin 2015/16, Deutsche Meisterin. Doch das reichte mir nicht. Ich wollte zu den Paralympics in Pjöngjang – und schaffte es. Ich konnte mich qualifizieren und nahm teil.

Und dann?

Erlebte ich die intensivste sportliche Zeit meines Lebens. Die Eindrücke, die anderen Athleten, die Rennen – unglaublich. Am Ende habe ich zweimal den 4. Platz in unterschiedlichen Disziplinen erreicht. Die nächsten Paralympics kommen und mein größter Wunsch ist es, dann auf dem Treppchen zu stehen.

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