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Herbst und Winter

„Zeit – und nicht Geld – ist die wichtigste Ressource in meinem Leben.“

Christine Thürmer. Fotos: Peter Von Felbert

Von unsportlicher Managerin zur meistgewandertsten Frau der Welt! Trotz vermeintlichen sportlichen Defiziten machte Christine Thürmer Wandern zu ihrem Beruf. Im Interview spricht sie mit uns, wie es dazu kam.

Christine Thürmer

Frau Thürmer, seit 2004 haben Sie nun mehr als 60.000 Kilometer zu Fuß zurückgelegt, was hat Sie dazu inspiriert, Langstreckenwanderin zu werden, und wie kann man sich das vorstellen?

Ich bin zum Langstreckenwandern gekommen wie die Jungfrau zum Kinde, denn eigentlich bin ich komplett unsportlich und war vor meiner Outdoorlaufbahn als Managerin in der Unternehmenssanierung tätig. Bei einem Yuppie-Urlaub in den USA habe ich zufällig die ersten Langstreckenwanderer getroffen und war sofort angefixt von ihrem Lebensstil. Doch damit ich selbst loswandere, musste das Schicksal mir erst noch zwei Tritte in den Hintern geben. Zunächst einmal wurde ich ganz unvermittelt gekündigt. Als dann noch ein Freund einen Schlaganfall erlitt und mit irreversiblen Hirnschäden im Pflegeheim landete, wurde mir klar: Zeit – und nicht Geld – ist die wichtigste Ressource in meinem Leben. Denn im Gegensatz zu Geld ist Lebenszeit weder planbar noch vermehrbar. Wenn du etwas wirklich machen willst, dann musst du es JETZT tun – denn nichts und niemand kann dir garantieren, dass du in ein paar Jahren oder bei Eintritt ins Rentenalter noch dazu in der Lage sein wirst. Und so bin ich 2004 auf meiner ersten Tour gleich einmal längs durch die USA von Mexiko nach Kanada gelaufen, 2.477 Kilometer insgesamt. Und das war erst der Anfang: Je drei Mal habe ich seither sowohl die USA als auch den gesamten europäischen Kontinent durchwandert.

Sie sind stets allein unterwegs, wie halten Sie sich dabei motiviert, und wird man auf Dauer nicht einsam?

Nein, ich bin unterwegs nicht einsam, denn ich mag mich selbst ja sehr gern … Aber mal im Ernst: Ich höre unterwegs täglich Podcasts und Hörbücher zur Unterhaltung und telefoniere auch öfters mit Freunden in der Heimat. Und wenn es mal ganz schlimm kommt: Eine Tafel Schokolade hebt eigentlich immer meine Laune.

Was waren die bisher schönsten Orte, die Sie gesehen und besucht haben, und warum?

Bei 60.000 Wanderkilometern ist es unmöglich, einen schönsten Ort oder besten Trail zu benennen. Was mir gerade gefällt, hängt immer von den aktuellen Umständen ab: Will ich mich gerade erholen oder suche ich das Abenteuer? Habe ich mehr Lust auf Natur oder Kultur? Suche ich eher Einsamkeit oder Gesellschaft? Generell bin ich aber eher begeistert von Ländern, wo kaum jemand hinwill: Während sich die meisten deutschen Outdoorfreunde in den Alpen oder in Skandinavien tummeln, zieht es mich vor allem nach Osteuropa! Rumänien, Polen, Bulgarien oder das Baltikum mag ich besonders.

Egal wo man wandert, man sieht oft von Kopf bis Fuß ausgerüstete Wanderer, die viele Dinge ihrer Ausrüstung jedoch kaum benutzen und brauchen. Welche Sachen machen Ihrer Meinung nach Sinn? Was braucht man als Anfänger oder auch als Fortgeschrittener wirklich?

Der entscheidende Faktor für den Erfolg einer Langstreckenwanderung ist ein möglichst niedriges Rucksackgewicht. Oder anders ausgedrückt: Beim Wandern ist der größte Luxus nicht das, was man dabeihat – sondern das, was man nicht tragen muss. Bei mir geht das so weit, dass ich mir aus Gewichtsgründen die Zahnbürste absäge und selbst die Unterhose wegrationalisiert habe. Beim Packen interessiert mich nur eine Frage: Gibt es auf Tour ohne diesen Gegenstand ein lebenswichtiges Problem? Lautet die Antwort „Nein“, bleibt das Ding zu Hause.

Welche Tipps können Sie anderen wanderbegeisterten Leserinnen und Lesern und denen, die es vielleicht noch werden wollen, an die Hand geben?

Auch wenn Ihnen die sogenannten Fachverkäufer in den Outdoorläden etwas anderes erzählen werden: Robuste Wanderstiefel sind für Langstreckentouren gänzlich ungeeignet, denn sie wirken auf den Fuß wie ein Korsett und zwingen ihn, bei jedem Schritt dieselbe Bewegung zu machen. Ergebnis: Sie ermüden schnell und bekommen Blasen, denn es werden immer dieselben Muskeln, Sehnen und Hautpartien belastet. Ich laufe ausschließlich in leichten Trailrunning-Schuhen mit flexibler Sohle, in denen der Fuß immer ein wenig anders abrollt. Außerdem sind Trailrunner deutlich leichter als Wanderstiefel – und dieses Gewicht müssen Sie ja bei jedem Schritt heben!

Was sind Ihre Tipps für die perfekte Packliste des nächsten Wanderurlaubs? Ohne welche Dinge starten Sie nie Ihre nächste Reise?

Meine gesamte Ausrüstung wiegt gerade mal fünf Kilogramm. Für eine solche Gewichtsreduktion packen Sie Ihren Rucksack in folgenden vier Schritten:

  1. Wiegen Sie jeden einzelnen Gegenstand bis aufs Gramm genau und tragen Sie das Gewicht in eine Excel-Tabelle ein.
  2. Lassen Sie alles weg, was unterwegs nicht lebensnotwendig ist. Und nein, es bringt Sie nicht um, wenn Sie nur ein T-Shirt dabeihaben und den Kamm zu Hause lassen …
  3. Schneiden Sie Überflüssiges ab! Nur weil der Hersteller fünf Riemen und zehn Schnallen an den Rucksack genäht hat, heißt das nicht, dass Sie die auch wirklich brauchen. Dabei macht auch Kleinvieh Mist: Ich trenne mir sogar die Etiketten aus der Kleidung.
  4. Tauschen Sie schwere Ausrüstungsgegenstände durch Ultraleicht-Modelle aus. Die größte Gewichtseinsparung können Sie beim Rucksack, Zelt und dem Schlafsystem erzielen.

Die Bibel des Langstreckenwanderns

Was sind die ideale Vorbereitung und das beste Equipment fürs Wandern? Welche Planungsschritte sind unerlässlich? Wie hält ein Wanderer durch, wenn müde Beine und schmerzende Blasen das Aufhören so verlockend erscheinen lassen? Und wo ist es besonders schön?

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